§42 AO - ein Freifahrtsschein?
Dr. Lutz Schmidt und Dr. Emran Sediqi wendet sich in einer neuen Veröffentlichung (DStR 2025, 2286) gegen ein weitverbreitetes Missverständnis: § 42 der Abgabenordnung (AO) sei kein generelles Verbot sogenannter „Steuergestaltungen“, die dem Finanzamt oder der Öffentlichkeit missfallen. Die Vorschrift dient vielmehr dazu, echten Missbrauch zu verhindern – sie ist nicht dazu da, legale, vom Gesetz gedeckte Steueroptimierungen zu bestrafen.
Zur Veranschaulichung führen die Autoren ein einfaches Beispiel an: Wenn jemand statt eines Hundes (mit Hundesteuer) eine Katze anschafft, um Steuern zu sparen, ist das völlig legal. Ähnlich gilt dies auch für komplexe steuerliche Gestaltungen in Unternehmen. Entscheidend ist, dass die Maßnahme rechtlich zulässig ist und der erzielte Vorteil vom Gesetz gedeckt wird.
§ 42 AO darf laut der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erst angewendet werden, wenn alle einschlägigen Steuervorschriften geprüft und ausgeschöpft sind. Nur wenn sich danach zeigt, dass eine Gestaltung den Zweck des Gesetzes offensichtlich umgeht, kann von einem Missbrauch die Rede sein.
Ein Missbrauch liegt nur dann vor, wenn
eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wurde,
die zu einem vom Gesetz nicht vorgesehenen Steuervorteil führt.
Die Beweislast dafür trägt die Finanzverwaltung. Steuerpflichtige müssen sich erst dann rechtfertigen, wenn ein solcher Missbrauch substantiiert nachgewiesen wurde.
Wichtig ist dabei:
Nicht die Motive oder Absichten des Steuerpflichtigen sind entscheidend, sondern allein die rechtliche Gestaltung.
Der Gesetzgeber hat selbst festgelegt, wo er Steuervorteile zulässt oder Grenzen zieht. Wenn er Lücken offenlässt, dürfen diese nicht durch eine erweiternde Anwendung von § 42 AO „nachgebessert“ werden.
Auch komplexe oder ungewöhnliche Gestaltungen („Goldfinger“, „Cum-Cum“ etc.) sind nicht automatisch missbräuchlich, solange sie wirtschaftlich sinnvoll und rechtlich zulässig sind.
Die Autoren warnen ausdrücklich vor einer ausufernden Anwendung von § 42 AO, weil dies gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen würde. Im Rechtsstaat gilt der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung: Besteuert wird, was das Gesetz erfasst – nicht, was jemand subjektiv für „gerecht“ hält.
Fazit:
Steuerpflichtige dürfen ihre Geschäfte so gestalten, dass sie möglichst wenig Steuern zahlen. Das ist Ausdruck ihrer Gestaltungsfreiheit – nicht Missbrauch. § 42 AO soll nur echte Umgehungen erfassen, nicht die Lückenbüßerrolle für unklare oder unvollständige Gesetze übernehmen. Wenn eine Gestaltung gesetzlich zulässig ist, dann ist sie auch steuerlich wirksam – unabhängig davon, ob sie dem Fiskus gefällt oder nicht.